
Arriving Home – Part I: Truth
Genre: Metalcore
Die 2020 gegründete Band Arriving Home haben sich dem Metalcore der 2000er verschrieben. Sie geben zudem auch zu, das Rad nicht neu zu erfinden, was ich schonmal sehr sympathisch finde. Den Fotos zu entnehmen, haben alle schon etwas Erfahrung an ihren Instrumenten und mit dem Genre. Das verspricht also Authentizität. Die Bandfotos zeigen auch deutlich, dass hier zwar durchaus ambitionierte und kreative Menschen am Werk sind, die Band aber noch kein geschliffener Diamant ist. Auch sympathisch, wenn die “fiesen” Mitgliederportraits nicht ernst gemeint sind… Sehr geil finde ich die Gitarrentabs zu den bisher veröffentlichten Singles. Hab ich bei Vertretern vergleichbarer Größenordnung noch nicht gesehen. Pluspunkt.
Aber hier geht’s ja nicht um Äußerlichkeiten! Mit dem ersten Eindruck würde ich aber dennoch gerne anfangen und der ist nun erstmal optischer Natur. Die Band präsentiert ihre 5 Track starke EP professioniell, die Bandhomepage ist stimmig, das Artwork des Tonträges schmiegt sich gut ein und ist mit seinem eher minimalistischen Layout dennoch ansprechend. Die Schriftart des Bandnames wirkt Genretypisch, der Titel der EP Part I: Truth lässt weitere Veröffentlichungen erwarten.
Okay Metalcore, dann aber laut! Der Bass-Sound im Intro von Witch ist richtig geil. Die Gitarren klingen fett, definiert und brachial, aber nach nem Sound, den man schon sehr gut kennt. Hier ist fürs erste kein eigener Stil erkennbar. Die Riffs sind zweckdienlich, gehen ordentlich nach vorn. Ich find es geil, dass der Sänger die cleanen wie auch die gutturalen Parts singt. Leider wirkt der Refrain im Studio konstruiert, was Live wohl schwierig umsetzbar sein könnte. Die Doublebass ballert! Blastbeats ballern und der Refrain ist mitreißend. Hier wird textlich schon auf Titel 4 Bezug genommen. In sich stimmig, wirkt aber wie schonmal gehört.
Der zweite Titel Fake klingt vom Riffing her sehr ähnlich zu Witch. Prescht aber etwas mehr nach vorn. Die Vielfalt des Gesangs hat es mir hier angetan. Hier wirkt der Sound von Bass und Gitarren besser aufeinander abgestimmt und etwas fetter als im ersten Song. Etwas unerwartet kommt ein balladesker Break, der in einem emotionalen Aufschrei und wundervoll songserving Solo mündet. Die aufgebauten Harmonien im treibenden Riff ab ungefähr 3 Minuten finde ich ziemlich nice. Nochmal Ballern und der Song endet in einer harmonischen Überzuckerung, die noch einmal auf den ruhigen Mittelpart referiert.
Miracel ist die einzige Ballade auf der EP. Das Intro ist zwar schön emotional aber die Stimme klingt mir persönlich zu stark bearbeitet und hier merkt man dann auch zwar eine sehr gute englische Aussprache, aber eben einen deutlichen deutschen Akzent. Aber, das ist Meckern auf zu hohem Niveau. Die Lead-Gitarre macht hier einen richtig guten Job. Der Song funktioniert ganz gut, wirkt aber etwas langatmig bis ab 2:55 der Song ordentlich BALLERT und groovig, fesselnd und beinahe doomig die bedrückende Stimmung verstärkt. Das wieder durchaus durchdachte und gut geschriebene Solo scheint einen Lichtblick zu geben. Zum Ende hin nimmt der Song noch weiter Fahrt auf und bekommt wie in den Vorgängern etwas mehr Drive. Die Struktur des Songs mit seinen Facetten und dem Höhepunkt am Ende geben einen deutlichen Einblick in das Potential der Band.
Titel 4, auf den schon in den ersten beiden Songs Bezug genommen wurde, wirkt noch einmal brachialer und hasserfüllter als seine Vorgänger. Kurze Ausflüchte in langsamere Parts werden direkt mit schnellen Melodien und Doublebass gekontert. Es ballert ohne Kompromisse. Die hintergründigen Backgrounds klingen echohaft nach, wirken wie eine Rückbesinnung… Eine sentimentalische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist der Gegenwart im Vergleich zur vermeintlich besseren Vergangenheit. Die naiven Zeiten der Weltwahrnehmung sind vorbei. Wo früher der Augenblick als solcher in seiner Ganzheit festgehalten wurde, lassen heute nur noch kontextfreie, lückenhaft simulierte Bilder Facetten der Wirklichkeit erscheinen. Er wird inszeniert, verliert seine Komplexität. Aber war früher wirklich alles besser? Hat nicht auch schon Narziss sich so sehr in sich, in ein Detail der Welt verloren, sich so weit von seiner Natur entfernt und wurde zur Strafe auf absurde Weise auf eben dieses kleine Detail, seine Schönheit reduziert und absurd karrikiert? Der Text steht sinnbildlich für den Eröffnungssatz der Bandbiografie “Metal ist die Musik der Krise: Bedrohung ist hier auch immer mit Hoffnung und Energie verbunden” Ist Unzufriedenheit die (Sinn-)Krise oder resultiert sie aus dem Hier und jetzt?
Nummer 5 lebt dieselbe Unzufriedenheit weiter, steigert sich ekstatisch in Blastbeats, wagt Ausflüge in andere Metalgenres, verliert aber nicht die stampfende Brutalität des Core. Das einzig verbliebene Gefühl ist, dass EP zu früh vorbei ist.
Arriving Home wollen das Rad nicht neu erfinden und versuchen es auch nicht. Beim erstmaligen Hören ging die Musik irgendwie in meiner Wahrnehmung unter, klang wie so viele andere Genrevertreter. Je öfter ich die Songs hörte, desto mehr stieg ich ein in den Kosmos dieses ersten Teils. Die EP Part I: Truth erfüllt die Erwartungen, die geschürt werden. Keine Kompromisse, kaum Experimente und qualitativ hochwertig produzierter Metalcore. Hier ist deutlich Potential zu erkennen. Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es mit der Band weitergeht. Ich würde mir mehr deutschsprachige Bands in dieser Sparte wünschen, da ich den Akzent immer etwas störend finde, aber das ist Geschmackssache. Vor allem durch die professionelle Präsentation der Band, kann ich mir durchaus vorstellen, dass hier noch einiges passieren wird. Ich denke, dass Arriving Home im Laufe ihrer zukünftigen Bandgeschichte vor Allem auf Shows mit anderen Bands, ob softer oder härter, sich musikalisch noch weiter profilieren können. Ich könnte mir durchaus vorstellen, Sie als Support für The Hirsch Effekt aber auch als Headliner auf kleineren Shows mit der lokalen Pop-Punkband, die sich zumindest partiell metaliger Riffs bedient, vorstellen.
Es ist spät, ich setzt die Kopfhörer auf und hör nochmal angemessen laut rein! Danke!
Tracklist
1. Hexe
2. Fälschung
3. Wunder
4. Schöne neue Welt
5. Ugly Truth
TEXT: Oliver Sommer